René Jacobs, der Dirigenten-Superstar – die goldenen Hände - WELT (2024)

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Man würde gern das Geheimnis dieser magischen Dirigentenhand kennen. Denn vor allem im Opernbereich gilt: Alles, was der lange schon in Paris residierende, besonders gern allerdings mit deutschen Ensembles arbeitende René Jacobs anfasst, leitet, es glänzt, funkelt und klingt wie neu. Auch wenn er es tut, als wäre er beim Wäscheaufhängen.

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Egal, ob es Barockopern sind, sein bahnbrechend guter Mozart-Zyklus, zuletzt Beethovens von ihm geadelte „Leonore“ oder jetzt, mit ein wenig Pandemie-Verzögerung nach dem 200-Jahr-Jubiläum, Carl Maria von Webers so himmlisch schöner, wie freilich höllisch schwerer „Freischütz“. An dessen abgefeimter Mischung aus Unschuld und Aufbruch, Biedermeier und Dämonie, Deutschem Wald und deutscher Angst schon sehr, sehr viele gescheitert sind.

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Denn schon nach der spannungsvoll sich in den C-Dur-jubelnden Apotheose-Schluss entladenden Ouvertüre, die das Freiburger Barockorchester mit romantischer Rauheit wie Süße spielt, weiß man: Dieser Opernschuss trifft neuerlich ins Schwarze, auch ohne Freikugeln.

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Jacobs hat das engagierte Orchester wie die griffige Zürcher Sing-Akademie traumsicher gewählt für einen plastischen, saftigen, glänzend in die Extreme gehenden, so flexiblen wie satten Sound. Und er ergänzt zudem so mutig wie schlüssig den einst von Weber verworfenen und leider doch nicht vertonten (und deshalb eigentlich nie gespielten) Librettoanfang als logischen Beginn der folgenden Moritat-Kausalkette mit eigenen, aus der Partitur extrahierten Zusätzen. Schon den vielgeschmähten Textschreiber Friedrich Kind ärgerte, „dass ohne den Prolog die Oper eine Statue wäre, welcher der Kopf fehlt.“

Kirchenglocken und Wolfsgeheul

Zunächst hatte Jacobs eine später aus Weber-Motiven montierte musikalische Fassung dieser Szene mit einer Arie für den Eremiten und ein Duett mit Agathe gefunden. Komponiert hat die Oscar Möricke, gespielt wurde sie Ende des 19. Jahrhunderts bislang nur einmal in Lübeck. Aber dann hat er es doch lieber selbst noch einmal gemacht.

Ganz natürlich, wie ein Hörspiel, fügen sich in dieser tontechnisch superben Neuaufnahme Worte, Geräusche und Töne. Die in dieser Zeit gerade sich emanzipierende deutsche (Spiel-)Oper mit ihren Gegensätzen aus tümlich und schreckhaft, herzenszart und komisch, sie wird hier als Mischung aus ein wenig Komödie, viel Drama und etwas Geisterbahn vollplastisch präsent.

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Das alles fügt sich zu einer dichten Hörlandschaft mit vollem Vokalklang, farbigem Instrumentalbeitrag, Schüssen, Kirchenglocken, Echos, Kindergeschrei und Wolfsgeheul; wirklich sorgfältig produziert.

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Gut abgemischt sind zudem die Sänger, auch da hat René Jacobs oftmals eine glückliche Hand. Angefangen vom väterlich schlanken Eremiten Christian Immlers, der hier nun endlich einmal das erste Wort und nicht nur das salbadernde Alles-wird-gut-Finale hat, an dessen Utopie der Prüfung auf ein weiteres Probejahr für Max keiner mehr so recht glauben will.

Maximilian Schmitt ist Max, der dezidiert lyrische, etwas monochrome Jägersbursch. Sein böses Alter Ergo, Dimitry Ivashenkos grimmiger Kaspar, wirkt mit seinem starken Akzent wie ein Fremdkörper. Sekundiert wird er vom vielbeschäftigten Samiel des Schauspielers Max Urlacher als Schießbuden-Buhmann.

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Stark und frei in der Höhe, legatofein, aber zupackend und gut im Timbre abgemischt sind auch die weitgehend unbekannten Frauen – Polina Paszircsák als seelenvolle Agathe und das rustikalen Ännchen von Kateryna Kasper. Das reicht in seiner instrumentalen Binnenspannung in jedem Fall, vokal beinahe an die bisherige, ein wenig künstliche Carlos-Kleiber-Aufnahme als Idealmarke heran.

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Ganz pressfrisch ist auch eine Neuinterpretation René Jacobs‘ von Johann Sebastian Bachs h-moll-Messe, mit der vor 30 Jahren die seither so fruchtvolle Berliner Zusammenarbeit sowohl mit der Akademie für Alte Musik wie dem RIAS Kammerchor unter dem Flamen ihren Anfang nahm. Das ist natürlich für den bewährten, aber sich auch stetig wieder neujustierenden Barockinterpreten Jacobs Herzensangelegenheit wie Kernkompetenz.

Diese gerät freilich wenig überraschend und total routinefrei zum freudvoll zelebrierten Singfest im Namen einer höheren Macht. An die man nicht glauben muss, Bachs meisterlicher Tonfluss hat schon jeden auch abstrakt abgeholt, erst mitgenommen, dann -gerissen. Deshalb sind hier alle als „singende Gemeinde“ zu erleben, der die ariosen Momente wie organisch entwachsen.

Authentisch, schlank und füllig

Trotzdem hat er manche Chorstellen, etwa das „Qui tollis“ oder das „Cruzifixus“, solistisch besetzt. Bewährte Vokalstützen von René Jacobs, Robin Johannsen, Marie-Claude Chappuis, Helena Rasker, Sebastian Kohlhepp und Christian Immler verwöhnen im Solistenquintett.

So tönt es opulent und doch authentisch, schlank, aber füllig. Denn als gewiefter Pragmatiker geht es René Jacob eben immer um den Publiku*mseffekt, bei Weber wie Bach.

Weber: Der Freischütz; Bach: h-moll-Messe (harmonia mundi)

René Jacobs, der Dirigenten-Superstar – die goldenen Hände - WELT (2024)
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